Pflichtverteidigung – Der „Sicherungsverteidiger“ in umfangreichen Verfahren

Anmerkung zu BGH Beschl. v. 24.03.2022 – StB 5/22 von Krawczyk in StV Spezial 2023 Heft 1 – 33 ff.

 

Beschuldigten Personen wird ein Pflichtverteidiger beigeordnet, wenn ein Fall sogenannter notwendiger Verteidigung vorliegt (bspw. Verdacht eines Verbrechens, Vollstreckung von Untersuchungshaft) und beschuldigte Personen nicht über einen Wahlverteidiger verfügen.

Auf dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip fußend, sollen Beschuldigte also in Fällen, in denen es schlicht unfair wäre, Strafverfahren gegen sie zu führen, ohne dass sie verteidigt sind, einen Anwalt von Amts wegen beigeordnet bekommen (wobei ihnen freilich die Möglichkeit eingeräumt wird, eine Auswahl zu treffen).

Ein besonderes Problem betreffen dabei sehr umfangreiche oder komplizierte Verfahren. Die Zahl solcher Umfangsverfahren steigt kontinuierlich an. Dies liegt nicht nur an einer zunehmenden Internationalisierung oder Komplexität von Lebenssachverhalten, welche mitunter kaum ohne Sachverständige zu lösen sind, sondern vor allem an der gewaltigen Datenmenge, welche immer häufiger Verfahrensstoff ist. Auf ein zeitgenössisches Smartphone passen einundfünfzig Millionen gescannte DIN-A 4 Seiten.

Schon länger ist es daher in der Praxis üblich, in umfangreichen Verfahren zumindest einen zweiten Verteidiger beizuordnen. So ist ein arbeitsteiliges Vorgehen möglich. Zugleich wird im Justizinteresse verhindert, dass ein Verfahren wegen Ausfalls des ersten Verteidigers ausgesetzt und neu begonnen werden muss.

Der Gesetzgeber hat dies 2019 ausdrücklich festgeschrieben: „In den Fällen der notwendigen Verteidigung können dem Beschuldigten zu seinem gewählten oder einem gemäß § 141 bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist.“ (§ 144 Abs. 1 StPO)

Leider stellt der Wortlaut der Norm allein auf die zügige Durchführung des Verfahrens ab.

Nunmehr hat sich der BGH zu der Neuregelung geäußert. Statt Mängel der Norm durch Auslegung zu glätten, wurde § 144 StPO äußerst restriktiv ausgelegt: Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers komme dem hierzu berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu […]. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger sei lediglich in eng begrenzte Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen (BGH, StV Spezial 2023, 30).

Hiergegen wendet sich unser Of Counsel Prof. Dr. Lucian Krawczyk, Kommentator der gesetzlichen Bestimmungen der Pflichtverteidigung, in einer Anmerkung in StV Spezial 2023 Heft 1 – 33 ff.

Er führt aus, dass die (verfassungs- und konventionsrechtliche) Garantie einer wirksamen Verteidigung verlangt hätte, § 144 StPO anders auszulegen. Die kommentierte Entscheidung berücksichtige ausschließlich Justizinteressen. Die vom 3. Senat entwickelte Begründung für die eingeschränkte Kontrollbefugnis des Beschwerdegerichts werde dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht. Die frühere Rechtsprechung, auf welche in der Gesetzesbegründung ausdrücklich Bezug genommen worden sei, habe auch die Herstellung einer ausreichenden oder wirksamen Verteidigung in umfangreichen Verfahren als für die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers sprechender Aspekt genannt (s. ausführlich Krawczyk, StV Spezial 2023 Heft 1 – 33 ff.)

 

Wenden Sie sich bei Fragen zur (Pflicht-)Verteidigung jederzeit gerne an uns.

Von

Prof. Dr. Lucian Krawczyk

Prof. Dr. Lucian Krawczyk

Of Counsel

030 551 531 11

E-Mail