13.01.2025
Blog
Akteneinsicht für die „Staatsanwaltsflüsterer“
Nach einer Entscheidung des OLG Braunschweig haben Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts einen Anspruch auf Erteilung von Auskünften aus Ermittlungsakten. Ihr Einfluss in Strafverfahren wegen Abrechnungsbetrugs oder Korruption im Gesundheitswesen wird damit größer.
Insbesondere in medizinwirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren (Abrechnungsbetrug, Korruption im Gesundheitswesen, Untreue) spielen Krankenkassen eine wichtige Rolle. Häufig bringen sie mit ihrer Strafanzeige den Stein überhaupt erst ins Rollen, vielfach verfolgen sie als (vermeintlich) Geschädigte eigene Ansprüche und nicht selten leisten sie wichtige Zuarbeit für die Staatsanwaltschaft. Inhaltlich nehmen sie Einfluss auf das Verfahren, indem sie sich zu sozialrechtlichen Fragestellungen äußern, Schadensberechnungen vornehmen oder Unterlagen sachverständig auswerten. Als subtile „Staatsanwaltsflüsterer“ sind sie deshalb bezeichnet worden (Tsambikakis, medstra 2023, 219).
Durch eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig (1. Strafsenat, Beschluss v. 28.8.2024 – 1 VAs 1-3/23) wird die Stellung der Kassen nun noch einmal gestärkt: Krankenkassen dürfen demnach als Körperschaften des öffentlichen Rechts Auskünfte aus Ermittlungsakten erhalten, um Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung auf Rechtmäßigkeit und Plausibilität zu überprüfen.
Der Fall: Ein niedergelassener Gynäkologe mit kassenärztlicher Zulassung stand im Verdacht, Diagnostik- und Laboraufträge bevorzugt einem Labor erteilt zu haben, von dem er als Gegenleistung über mehrere Jahre Zuwendungen i.H.v. über € 50.0000,- erhielt, getarnt als Gehaltszahlung. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Arzt und die Betreiber des Laborunternehmens nach Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Strafprozessordnung ein. Die AOK verlangte nach Abschluss des Verfahrens Einsicht in bestimmte Aktenbestandteile. Und bekam Recht.
Die Rechtsgrundlage: Nach § 474 Abs. 2 Nr. 1 der Strafprozessordnung (StPO) dürfen öffentliche Stellen, zu denen auch Krankenkassen gehören, Auskünfte aus Ermittlungsakten erhalten, wenn es um die Durchsetzung von Rechtsansprüchen geht. Die Verteidigung hatte argumentiert, dass die Krankenkasse überhaupt keine Verletzte sei, da ein möglicher Regressanspruch nur der Kassenärztlichen Vereinigung zustehe. Diese prüfe und berichtige ggfs. die Abrechnung, wohingegen kein Direktanspruch zwischen den abrechnenden Ärzten und den Krankenkassen bestünde. Dass die AOK in Gremien der Selbstverwaltung vertreten sei, ändere daran nichts, da sie keine alleinige Entscheidungskompetenz habe.
Das OLG Braunschweig sah dies anders. Gegenstand des Strafverfahrens seien Sachverhalte gewesen, die Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenkassen betrafen. Auch die Krankenkassen seien befugt und es sei sogar ihre Aufgabe, vertragsärztliche Honorarabrechnungen auf Rechtmäßigkeit und Plausibilität zu prüfen und ihr Prüfergebnis der Kassenärztlichen Vereinigung mitzuteilen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, bedürfe sie ggfs. entsprechender Auskünfte aus Ermittlungsakten.
Wichtig: Nach Auffassung des OLG Braunschweig reicht es aus, wenn die antragstellende Krankenkasse „schlüssig darlegt“, dass die Auskunft für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft dagegen habe nicht zu prüfen, ob Auskünfte tatsächlich erforderlich sind.
Was heißt das für Ärzte und die Verteidigung?
Die Entscheidung des OLG Braunschweig stärkt die Rechtsstellung der Krankenkassen im Strafverfahren. Die Auskunftserteilung wird sich zukünftig noch schwerer verhindern lassen. Die Verteidigung wird dies in strategische Überlegungen einbeziehen müssen. In geeigneten Fällen kann dies bedeuten, dass sich ein proaktives Vorgehen in Gestalt einer frühzeitigen Kontaktaufnahme mit den Krankenkassen empfiehlt, um Einigungsmöglichkeiten auszuloten.