Ablauf eines Strafverfahrens

Eine Strafsache löst bei Beschuldigten große Unsicherheit aus. Wie verhält man sich richtig? Wie entwickeln sich Strafverfahren fern der Klischeebilder aus den Medien tatsächlich?

 

I. Keine Panik

Typischerweise beginnt das Strafverfahren aus Sicht von Beschuldigten wenig spektakulär: Es liegt ein Schreiben von Polizei oder Staatsanwaltschaft im Briefkasten.

In dem Brief steht, dass in einem Ermittlungsverfahren oder in einer Strafsache gegen die betroffene Person wegen einer bestimmten Straftat ermittelt wird.

Es wird ein Termin zu einer Beschuldigtenvernehmung bei Polizei oder Staatsanwaltschaft mitgeteilt oder die Möglichkeit, sich schriftlich zu äußern. Mitunter wird auch allgemein darauf hingewiesen, dann man das Recht habe, zu der erhobenen Beschuldigung gehört zu werden. Schließlich folgt die Belehrung, dass es nach dem Gesetz freistehe, ob man sich zu der Beschuldigung äußern möchte oder nicht und dass man sich jederzeit des Beistandes eines Verteidigers bedienen könne.

In den selteneren Fällen erfahren Personen im Rahmen der Durchsuchung von Unternehmen oder Wohnungen bzw. im Rahmen einer Verhaftung oder Festnahme von ihrer Beschuldigtenrolle.

Die meisten Menschen, die in diese Situationen geraten, kennen die Beschuldigtenrolle nicht.

Sie machen sich große Sorgen, recherchieren häufig die Straftatbestände, die ihnen vorgeworfen werden im Internet (zB Betrug gem. § 263 StGB oder Untreue gem. § 266 StGB) und lesen dann „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.“ Sodann googeln sie Informationen zum Strafverfahren, lesen etwas von „Instanzenzug“, von „Berufung und Revision“ und stoßen auf spektakuläre Verurteilungen zu langjährigen Freiheitsstrafen.

Mit der Beschuldigtenrolle gehen diese Unsicherheiten einher. Mitunter haben Betroffene existenzielle Sorgen, da sie ihre Freiheit bedroht sehen oder um die Zukunft ihres Unternehmens durch Vermögensabschöpfung fürchten. Sie wissen überhaupt nicht, wie sie sich verhalten sollen und wollen das Problem so schnell wie möglich klären.

Diese großen Sorgen mögen in Einzelfällen berechtigt sein (etwa bei schwersten Gewaltvorwürfen und erheblichen Tatfolgen), ganz regelmäßig sind sie es jedoch nicht.

Nur ein kleiner Teil der Ermittlungsverfahren wird tatsächlich zu einem Gericht angeklagt. Und von diesen Verfahren endet ebenfalls nur ein verschwindend geringer Anteil mit einer Freiheitsstrafe.

Auf ca. 5.000.000 Ermittlungsverfahren in Deutschland pro Jahr kommen lediglich ca. 44.000 Inhaftierte in Deutschland, also ein winziger Prozentsatz (Stand 2021).

Ähnlich sieht es aus, wenn man die statistischen staatsanwaltlichen Erledigungszahlen betrachtet. Ca. siebzig Prozent der bearbeiteten Fälle enden mit einer Einstellung des Verfahrens, lediglich zwanzig bis dreißig Prozent werden angeklagt. Diese Zahlen belegen zugleich die enorme Bedeutung der Staatsanwaltschaft und die entscheidende Weichenstellung in dieser ersten Phase des Strafverfahrens.

Dennoch wäre es fatal und ein typischer Fehler, als beschuldigte Person den Termin zur Vernehmung bei Polizei oder Staatsanwaltschaft wahrzunehmen.

 

II. Schweigen, Schweigen, Schweigen

Man sollte sich als beschuldigte Person auf keinen Fall selbst äußern, ganz gleich ob schriftlich oder mündlich. Hintergrund ist, dass auch kluge und erfahrene Personen ohne juristische Ausbildung nicht wissen, welche Äußerung ihnen schaden könnte und sich im Falle der unbegleiteten mündlichen Beschuldigtenvernehmung regelmäßig „um Kopf und Kragen“ reden.

Der übliche Ablauf eines anwaltlich begleiteten Strafverfahrens sieht hingegen so aus, dass die Strafverteidigung Akteneinsicht beantragt, die Akte erhält und die Akte mit der beschuldigten Person bespricht. Sodann wird in voller Kenntnis dessen, was genau vorgeworfen wird und in voller Kenntnis der bestehenden Beweismittel – oder eben der nicht bestehenden Beweismittel – eine Stellungnahme zur Verteidigung für die beschuldigte Person vorbereitet und abgegeben. Diese Stellungnahme wird allerdings auf Augenhöhe mit der Staatsanwaltschaft verfasst und nicht in Unkenntnis der Vorwürfe und der juristischen Bedeutung der Aussage. Regelmäßig wird in diesem Schreiben die Einstellung des Verfahrens beantragt.

Leider hört man noch immer von Verteidigerkollegen, die Strafverfahren annehmen und ihren Mandantinnen und Mandanten raten, abzuwarten und „die Sache vor Gericht zu klären“. Dies ist unzeitgemäß und schädigt regelmäßig die Interessen der Mandanten. Auf Ebene des Ermittlungsverfahrens lässt sich enormer Einfluss auf das Verfahren nehmen und sehr häufig das Ermittlungsverfahren zu einer Einstellung führen. Kein Mandant, der die Wahl hat, möchte in einer öffentlichen Hauptverhandlung vor Gericht stehen. Daher ist schlichtes Abwarten meist der schlechteste Rat (von extremen Ausnahmekonstellationen bei sicherer Anklagerhebung o.ä. abgesehen). Ist ein Ermittlungsverfahren verstrichen, Anklage erhoben und als regelmäßige Folge eine Eröffnung des Hauptverfahrens vor Gericht beschlossen, so verschlechtern sich die Aussichten auf einen günstigen Ausgang des Strafverfahrens erheblich. Dies zeigt die Statistik und hat auch mit banalen psychologischen Effekten zu tun: Die Staatsanwaltschaft hat sich die Mühe gemacht, eine Anklage zu verfassen – nun soll sich die Arbeit auch in einer Verurteilung niederschlagen. Das Gericht hat bei der Eröffnungsentscheidung bereits einen hinreichenden Tatverdacht angenommen. Es ist für die Richterinnen und Richter nicht einfach, sich von dieser negativen Einschätzung wieder zu lösen.

In der ersten Phase des Strafverfahrens, dem Ermittlungsverfahren, kann Beschuldigten typischerweise also am besten geholfen werden. Es ist für Beschuldigte darum wichtig, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern sich so rasch wie möglich um eine professionelle Verteidigung zu kümmern.

Anders als es Klischeebilder aus Literatur und Film vermitteln, sehen Beschuldigte also bei einer ordentlichen Verteidigung typischerweise nie einen Richter, müssen nie mit einer Staatsanwältin sprechen, müssen nie von der Polizei vernommen werden. Regelmäßig sprechen sie nur mit ihrem Verteidiger über das Verfahren, dieser gibt eine Stellungnahme ab und das Verfahren wird auf schriftlichem Weg gelöst – häufig mit einer Einstellung des Strafverfahrens.

Das Recht zu schweigen und das Recht, sich des Beistandes eines Verteidigers nach Wahl zu bedienen, sind große rechtsstaatliche Errungenschaften. Diese sollten wahrgenommen werden.

Wir beraten Sie in Berlin und bundesweit als Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht.

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Tobias Lubitz

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Dr. Tobias Lubitz

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